Abgekühlt
Ein bisschen komisch klingt Nadine am Telefon schon, als sie Laura fragt, ob sie Lust auf einen Nachmittag im Schwimmbad hat. Fast ein wenig niedergeschlagen. Aber vielleicht ist sie nur müde von der Hitze.
"Jutta und ich holen dich in einer halben Stunde ab", sagt sie und legt auf.
Laura packt gut gelaunt ihre Schwimmtasche und sitzt eine viertel Stunde später neben ihrer besten Freundin auf der Rückbank in dem heute sehr heißen Kleinwagen ihrer Mutter. Wie immer, wenn die drei zusammen Auto fahren, greift Jutta ins Handschuhfach und fragt: "Will jemand ein Zitronenbonbon?"
Laura nimmt fröhlich eins entgegen, doch Nadine schüttelt nur mit dem Kopf und sieht schweigsam aus dem Fenster.
Jutta sieht kurz in den Rückspiegel, schaltet das Radio ein und klopft leicht im Takt zur Musik auf dem Lenkrad herum. Laura lacht. Eltern können manchmal lustig aussehen, wenn sie versuchen, Songs aus dem Radio mitzusingen. Doch selbst das bringt Nadine nicht zum Lächeln.
So langsam fragt sich Laura, warum sie überhaupt von Nadine zu einem Freibad-Nachmittag eingeladen wurde, wenn sie so mies drauf ist.
Unter einer riesigen Baumkrone breiten die drei ihre Handtücher im Halbschatten auf der Freibad-Wiese aus. Nadine zieht ihr leichtes Sommerkleid aus und cremt sich ein.
"Soll ich dir den Rücken einschmieren?" bietet Laura ihrer Freundin an, doch Nadine schüttelt mit dem Kopf.
"Okay. Wollen wir ins Wasser?"
"Hmh."
Zwischen Handtüchern, kreischenden Kinder mit Schwimmflügeln und gestressten Muttis schlängeln sich die beiden Mädchen hindurch zum großen Schwimmbecken und springen hinein.
Das tut gut! Sehr kalt ist das Wasser nicht, aber selbst eine leichte Abkühlung an diesem heißen Sommertag genießt Laura mehr denn je, brütete sie bis vor einer Stunde doch noch über Bruch-Rechenaufgaben.
Am Beckerand hangeln sich die beiden Mädchen entlang.
"Wetttauchen?" prustet Laura.
"Meinetwegen", antwortet Nadine.
Auf los geht"s runter.
Zweiunddreißig, dreiunddreißig – WUSCH! Laura taucht auf, ringt nach Luft und reibt sie die Augen.
"Du hast gewonnen", sagt Nadine so neutral, wie ihre Freundin sie noch nie hat sprechen hören.
Jetzt wird es Laura zu komisch: "Ist irgendwas?"
"Was soll sein?"
"Du bist so komisch heute."
"Ich bin ganz normal!"
Stimmt nicht. Hat Laura sie etwa geärgert? Dass ihre beste Freundin keine Lust auf den gemeinsamen Nachmittag hat, ist bei Laura ja längst angekommen, aber – hat sie nur heute keine Lust? Oder komplett? Was hat sie ihr denn getan?
"Wollen wir uns ein Eis holen?" startet Laura einen letzten Versuch.
"Kannst du machen."
Okay. Jetzt reicht"s! Was soll sie tun? Wenn sie Nadine drauf anspricht, dann ist sie wahrscheinlich noch mehr genervt. Vielleicht waren sie dann längste Zeit Freundinnen gewesen? Das kann Laura nicht riskieren. Also hangelt sie sich aus dem Wasser und sagt: "Ich geh" mal auf"s Klo."
Ein kurzer Abstand tut gut. Aber wirklich schlauer fühlt sie sich nicht, als sie sich wenig später mit Jutta und Nadine auf der Wiese von der Sonne trocknen lässt.
Sonst beobachten die beiden Mädchen immer Leute und denken sich lustige Geschichten zu ihnen aus. Aber Nadine ist heute so schweigsam wie ein Mönch.
Nach einer Stunde haben die drei genug vom Freibad und fahren nach Hause.
Am nächsten Tag begrüßt Nadine Laura wie gewohnt fröhlich auf dem Schulhof. Sie helfen sich gegenseitig im Mathe-Unterricht, frühstücken gemeinsam in der Pause und umarmen sich nach der Schule an der Bushaltestelle, als Jutta ihre Tochter abholt.
Was war denn da gestern nur los?
Tage später sitzen die beiden Mädchen bei Zitronenlimonade auf der Terrasse und blättern in der "Micky Maus".
"Du, Laura … wegen neulich im Freibad … tut mir Leid, dass ich da so doof war. Aber meine Eltern haben sich vorher gestritten und ich wusste einfach nicht, was ich machen sollte."
Oh. Wow. "Und ich dachte schon!"
"Was dachtest du?"
"Dass du nicht mehr mit mir befreundet sein willst!"
"Was? Warum das denn?"
"Naja – aber wenn sowas wieder passiert, erzählst du mir das, okay?"
"Abgemacht", willigt Nadine ein und die beiden Mädchen lassen die Gläser klirren.