Günter ohne H
Eilig stolperte Günter ohne H durchs Treppenhaus. Frau Kannbichler-Sömmerda, erwartete ihn bereits eine Etage tiefer.
Ihren Doppelnamen verdankte die Dame übrigens einer ebenso freudlosen wie kurzen Ehe mit einem Gemischtwarenhändler aus dem Brandenburgischen.
Das Gerücht, dieser sei mit einer Dame aus dem Nahen Osten in den fernen selbigen geflüchtet, hatte sie stets vehement dementiert.
Nun also bremste sie Günter ohne H aus, indem sie lediglich ihre imposante Erscheinung in seiner Einflugschneise postierte.
Derart jäh gestoppt blieb diesem nichts anders übrig, als wie so oft die Tiraden über sich ergehen zu lassen, worin sie ihn auf die diversen Verfehlungen hinwies, deren er sich in den vergangenen Tagen als Mitbewohner schuldig gemacht hatte.
Mit Anerkennung nahm Günter zur Kenntnis, dass die Gute ihren Wortschatz seit der letzten Begegnung um Begriffe wie "impertinent" und "desaströs" erweitert zu haben schien. Frau Kannbichler-Sömmerda war eine Mitfünfzigerin, doch im Herzen jung geblieben, wie sie nicht müde wurde, zu betonen. Leider jedoch sah man ihr diese innere Jugend absolut nicht an, wie Günter ohne H mit gewissem Bedauern feststellte. Ihr diesen Gedanken mitzuteilen empfahl sich indes nicht! Und das weniger aus Pietät, als vielmehr wegen möglicher ernsthafter physischer Konsequenzen.
Frau Kannbichler-Sömmerda war quasi die personifizierte Bestätigung für sein Single-Dasein.
Günters Miene spiegelte mit einem Mal sämtliche Emotionen wider, die diese Situation für ihn bereithielt.
Diesen Gesichtsausdruck schien seine Nachbarin indes völlig falsch zu deuten.
Ihr ebenso eloquenter wie flammender Appell an Ordnung und Sauberkeit wurde nun durch eine andere Form der Leidenschaft ersetzt.
Mit dem ihr eigenen subtilen Charme gewährte Frau Kannbichler-Sömmerda ihm einen scheinbar zufälligen Blick auf ihr nicht unerhebliches Dekolleté.
Dass dieses Dekolleté im Laufe der Jahre als fleischgewordener Nachweis für die Existenz der Gravitationskraft angesehen werden durfte, ignorierte sie erfolgreich.
Vielmehr hielt sie sich immer noch für Gottes Geschenk an die Männerwelt.
Ihr zu widerstehen war nahezu unmöglich. Zumindest für Günter, der noch nicht einmal sein fehlendes H hätte an ihr hätte vorbeiquetschen können.
Da stand er nun hilflos am Portal zum Kannbichler-Sömmerdaschen Tempel der Versuchung.
Nun erst wurde seine Nase des Konglomerates diverser Gerüche gewahr, die nur aus der Wohnung einer - nunja - Witwe stammen konnte.
Unter den Duft von Febreze, Eierlikör und Katzenstreu, welches dringend der Erneuerung bedurft hätte, gesellte sich der betörende Geruch von Räucherstäbchen.
Ein wahrer Palast der Glückseligkeit stand ihm offen.
Günter, der im Geiste sah, wie die sieben apokalyptischen Reiter in gestreckten Galopp auf ihn zu preschten, wünschte sich nichts sehnlicher, als dass er den Fahrstuhl genommen hätte.