Der Abschlussball
Fröstelnd bei minus zwei Grad in einer hauchdünnen Strumpfhose und einem der Jahreszeit sehr unangemessenen, viel zu kurzen Kleid gehen wir die gefrorene, glatte Straße hoch, Zähne zusammenbeißend, sowohl vor Aufregung als auch vor Konzentration, um nicht in den hohen, ungewohnten und unvorteilhaften , aber dennoch sehr schicken Schuhen auszurutschen oder gar andere ausrenkende Bewegungen zu machen. Das Ziel haben wir fest vor Augen: Der hell erleuchtete Schützenhof.
Obwohl es bereits acht Uhr ist und man befürchtet, das Abschlussfest habe schon begonnen, stehen noch viele festlich gekleidete und mit Make-Up und Pailletten bedeckte Leute vor dem Saal. Wir haben also noch genügen Zeit für Notwässerchen, Pläuschchen und Sektchen.
Auf der Bühne sind für uns Tischgruppen aufgebaut und der Zuschauerraum ist heute Abend die Tanzfläche. Umgekehrt wäre der Platz mangelhaft. Ebenso wie diese Veranstaltung. Aber ein Tanzkurs-Abschlussball muss nun mal sein.
Höflichkeit und Etikette haben hier ungewohnten Vorrang.
Langweilig ist uns schon ein bisschen, denn viel zu erzählen haben wir uns nicht. Lockeres Herumalbern wie in der Tanzschule können wir uns heute Abend abschminken. Doch endlich greift der Moderator zum Mikrofon und begrüßt uns. Zwar mit einem anderen Wortlaut, doch der Subtext lautet zweifelsohne: "Toll, dass ihr da seid! Ihr feiert mich, ich feier mich! Denn ich bin der heimliche Star."
Wir Tanzschüler werden also dazu aufgefordert, uns zum Einmarsch im Foyer zu platzieren.
Herrlich! Wir haben eine Aufgabe!
Beim Einmarschieren treten wir eher auf der Stelle als voran. Das Publikum klatscht in bester Schlager-Manier im Takt zur Musik und die Playback-Live-Band, bestehend aus Keyboard, Gitarre und Gesang (Ja, Schlagzeug und Bass kann man ja am Keyboard simulieren, ist doch egal, dass das bei einer Musikveranstaltung wie einem Abschlussball für"n Eimer klingt).
Position, Band ab, Wiener Walzer-Formation.
Grauenvoll ist der Tanzgenuss auch aufgrund von Platzmangel, und Vergleiche zum Pogo sind nun naheliegend.
Die Band kennt kein Erbarmen. Es folgen Chachacha, Foxtrott und Disco Fox. Wir beschließen, einen Fanclub der Pseudo-Band zu gründen und überlegen uns schon mal Designschriftzüge für Fan-Shirts.
Unser Brainstorming wird von einem tanzen Pärchen aka Barbie und Ken unterbrochen, als diese vom Moderator angeleiert werden, mit einer Soloperformance zu beeindrucken. Schließlich will die Tanzschule auch für die Aufbaukurse ausreichend Buchungen kassieren.
Der Moderator fragt also im Anschluss: "Für so einen Tanz reicht es bestimmt nicht aus, ein mal pro Woche zu üben, oder?"
Barbie: "Nein."
Das hätte ein schöner Start für ein Gespräch werden können. Doch viel passiert nicht mehr an diesem Abend. Wir verlieren die Tanz-Challenge, doch was kümmert es uns. Walzer, Jive, Chachacha, Foxtrott und schmerzende Füße. Dann endlich der Startschuss meiner Eltern: "Wir wollen langsam los."
Yes!
Jacken holen, anziehen, raus in die kalte Nacht, auf der glatten Straße ausrutschen, Schmerzen Schmerzen Schmerzen, rein ins Auto geschafft, fertig!