Warning: Undefined array key 1 in /var/www/vhosts/nitroxid.com/online-kurzgeschichten.de/index.php on line 8
Online-Kurzgeschichten
Lesezeit: etwa 4 Minuten
von
Carolin S.

Lüttweida

Hier möchte ich nicht begraben sein. Ein blöder Spruch, doch er trifft zu. Klischee belastet schauen alte Herren aus den Fenster und warten drauf, dass etwas passiert. Doch in Lüttweida passiert nichts. Obwohl hier eine der bestrenommierten Universitäten der Bundesrepublik residieren. Die Uni rankt auf einem keinen Hügel majestätisch hervor und ist umgeben von Häusern, die in Farben gestrichen worden sind, von denen ich nicht mal wusste, dass es sie gibt. Oliv, okka, senfgelb, braun und türkis mischen sich schmuddelig in meiner Iris.
Drei Wochen werden schon nicht so lang werden, versuche ich mich zu beruhigen. Außerdem werde ich ohnehin den ganzen Tag in der Uni abhängen und lernen, lesen, studieren.
Drei Wochen Vorlesungszeit und zu Gast in dieser Stadt im tiefen, tiefen Osten umgeben von Feldern und keiner nahen Metropole – ohne Auto ist man machtlos und bis Berlin sind es mit dem Zug zwei Stunden Fahrt, nach Leipzig ebenso.
Wir werden das schon schaffen. Meine Kommilitonen und ich. Gemeinsam einsam in Lüttweda. Wir sitzen alle im selben Boot. Mitgehangen mitgefangen. Und so weiter.
Es gibt keine Club, keine Bar, nur ein kleines Fitnessstudio, für das es sich nicht anzumelden lohnt und bis auf eine Kirche und eine winzige Stadtbücherei finde ich kein Kulturprogramm. Auch die Uni-Bibliothek lässt zu Wünschen übrig.
Aber was soll"s. Die Wochenenden kann ich auch gemeinsam mit meinen Kommilitonen verbringen. Sicher werden wir dicke Parties feiern können.
"Wir fahren nach Berlin. Willst du mit?"
Äh, was?
"Ach sorry, kein Platz mehr im Auto."
Na bravo. Und eine all wochendliche Zugticketspende gewährt mir mein Girokonto auch nicht.
Allein in Lüttweida am Wochenende. Ein Alptraum wird wahr.
Samstag Morgen schneit es brutal auf das Dachschrägen-Fenster meines Schlafzimmers. Der zehnminütige Gang zum Supermarkt wird ein Abenteuer, weil ich vier Mal ausrutsche und einmal falle. Wie gut, das ich keine rohen Eier gekauft habe.
Kinder sausen mit ihren Schlitten an mir vorbei.
Das wär"s jetzt. Spaß, Spiel, Spannung, Sport.
Sport?
Egal. Nee, genial!
Ich krame meine Joggingschuhe aus dem Kleiderschrank und laufe los. Einfach so. Hauptstraße hin und zurück, Berg rauf, Berg runter, im Kreis und um den Marktplatz – und eigentlich muss ich jetzt doch gestehen, dass es hier idyllisch sein kann. Fast wie eine Märchenwelt.
Die Märzsonne taucht den Rathausplatz in ein seichtes Licht und lässt die Vorfreude auf den Frühling steigen. Kalt ist mir nicht. Und wo kommt denn plötzlich das Solarium her, an dem ich schon sieben Mal vorbei gelaufen sein muss?
"Wir haben auch eine Sauna", informiert mich die noch nicht ganz einer Ledertasche gleichenden, freundliche, blondierte Mitarbeiterin.
Studiosus-Wellness in Lüttweida. Unerwartet durchgestartet.