Die Schulband
Coacherin einer Schulband. Klingt eigentlich ganz gut, findet Tabea. Musik belebt und Belebung kann sie gebrauchen. Es ist nicht die beste Phase ihres Lebens. Mit Mitte zwanzig auf Antidepressiva angewiesen zu sein findet sie nicht so cool, aber was soll"s. Kann nur besser werden. Mal sehen, was der neue Minijob so bringt.
Beim ersten Treffen zu Beginn des neun Schuljahres an einem Milden September-Mittag sitzt sie im Bandprobenraum mit der Sozialarbeiterin und lernt das fünfköpfige Ensemble der Förderschule kennen.
Die Kinder sind zwar liebenswert, aber leider ebenso – darf man hohl sagen? Sie keifen sich an und müssen diskutieren, wer wen provoziert hat.
Gäbe es nicht schon eine Band namens Sondaschule – diese Bezeichnung wäre der perfekte Name für diese Band!
Was ist hier überhaupt los? Tonfall, Niveau – alles im Keller.
Genau wie Tabeas Stimmung. Passt also. Wie gut, dass sie sozusagen auf Drogen ist und das alles hier um sie herum nicht so richtig mitbekommt.
"Wollen wir den Song spielen, den wir im letzten Schuljahr einstudiert haben?" fragt die Sozialarbeiterin in die Runde.
Großes Geschrei. Vor Begeisterung. Und auch Tabea findet es gut, dass endlich mal ein paar Töne gespielt werden. Endlich Musik!
Gitarren ausgepackt, angeschlossen, Mikrofon und Keyboard an den Strom – wofür eine gewöhnliche Band eine viertel Stunde braucht, dauert bei diesen Kindern das dreifache. Macht nichts. Arbeitszeit ist bezahlte Zeit.
Eins, zwei, drei, vier!
Die Kinder schremmeln los.
Tabea schluckt. Das ist alles, nur nicht Musik.
Sollte sie ab heute vielleicht die Dosis ihres betäubenden Psychopharmaka erhöhen?
Auf dem Heimweg sucht Tabea nach sinnvollen Ausreden, um diesen Job zu umgehen. Auf der Landstraße herrscht kein Verkehr und Bryan Adams holt sie durch die sehr gute Anlage wieder zurück in die reale Welt der Musik.
Das Telefon schellt. Tabea stellt die Freisprechanlage ein und telefoniert mit der Sozialarbeiterin: "Das war ein Schock für dich, oder?" erkundigt sie sich nach Tabeas Befinden, "Ich habe es dir genau angesehen."
"Ich weiß nicht, ob der Job der richtige für mich ist", bekennt Tabea. Ehrlich gesagt ist sie froh, schockiert sein zu dürfen, denn ein schlechtes Gewissen hat sie bei all ihren düsteren Gedanken schon. Es sind Kinder! Und wie sie bald erfährt, sehr gebeutelte Wesen. Misshandelt und auf Tabletten angewiesen – irgendwo gibt es also eine Schnittmenge zwischen Tabea und den Kindern. Und nicht nur der geringe IQ scheint den Schülern das Leben schwer zu machen.
Scheiße. Dilemma.
Ach was soll"s. Ich mach"s. Es wird Zeit, dass ich mich auf etwas einlasse, denkt Tabea sich.
Und schon bald erkennt sie, dass es bei diesem Job nicht um Musik geht. Priorität ist, den Kindern eine Plattform zu bieten. Eine Clique, in der sie sich außerhalb der Schulzeit und dennoch im schulischen Rahmen austoben können.
"Ich hab einen Song geschrieben! Aber nur den Text", wedelt Keira bei der nächsten Probe mit einem in fürchterlicher Rechtschreibung gekitzelten Zettel vor Tabeas Nase herum.
Mit Wasser in den Augen liest Tabea Keiras Liebeslied – Scheiße. Wie kann man nur so ehrlich sein? Ein schöner Text.
Es wir dein abenteuerliches Schuljahr. Je mehr sie von den Kindern erfährt, ihren Hintergrundgeschichten, ihren Problemen, desto schlechter schläft Tabea. Obwohl sie nur einmal pro Woche bei ihnen ist.
Aber hier geht"s um was! Ist das ihr Beitrag in der Welt? Um sie vielleicht ein kleines bisschen besser zu machen, zumindest diesen Ort, dieses Grüppchen in diesem Schuljahr, wenn auch nur für zwei Stunden in der Woche?
Am Ende des Schuljahrs hat die Band tatsächlich einen einzigen Song zusammenschustern können. Stolz trägt sie ihn in gewohnt grauenvoller Manier beim Abschlussfest vor. Happy. Und darum geht"s! Wen kümmern Taktgefühl und korrekte Töne.
Kira strahlt Tabea nach dem Song an, geht hinter der Bühne auf sie zu, umarmt sie und gesteht:"Tabea, ich bin dein größter Fan!"