Warning: Undefined array key 1 in /var/www/vhosts/nitroxid.com/online-kurzgeschichten.de/index.php on line 8
Online-Kurzgeschichten
Lesezeit: etwa 3 Minuten
von
Carolin S.

Mythen von Bielefeld

"Und da wohne ich", zeige ich auf den grünen Fleck auf der Google-Maps-Satteliten-Landkarte.
"Im Feld?"
"Im den Haus da im Feld."
"Wo ist das eigentlich?"
"Bei Bielefeld."
"Ja sicher. Und wirklich?"
Ich verstehe seine Frage nicht.
"Na, bei Bielefeld eben."
"Aber Bielefeld gibt"s doch gar nicht!"
"Ja komm, der Witz ist raus." Und schon viel zu oft erzählt worden. Die Bielefeldverschwörung als Mythos einer Studentenbewegung vor gefühlt hundert Jahren hat mittlerweile also auch bis Berlin die Runde gemacht, aber mein Kommilitone scheint es ernst zu meinen: "Nee, wirklich jetzt."
"Andi, ich bin da geboren!"
Er lacht kurz.
Also jetzt ist es gut. Ich hole meinen Personalausweis aus meinem Portemonnaie und zeige ihm meinen Geburtsort. Für eine Dokumentenfälscherin wird er mich wahrscheinlich nicht halten.
Und tatsächlich. Er staunt. "Das gibt"s doch nicht!"
"Doch! Das steht hier doch!"
"Ich dachte immer – ey, das muss die Welt wissen! Mach doch "nen Film drüber!"
"Haha, ja genau! Hey weiß du was, das mach ich auch! Danke!"
Und ich lege los. Vom Unterrichtstoff bekomme ich heute nicht mehr viel mit und der halbstündige Radweg von der Uni zu meiner Wohnung gestaltet sich äußerst kreativ. Tausend Einfälle und gar nicht wissen, wo man anfangen soll. Ich bräuchte ein Tonbandgerät wie eine Freisprechanlage, um mir während des Radelns all die Ideen notieren zu können. Wundersam ist es, dass ich im Berliner Straßenverkehr keinen Unfall verursache.
Facebook-Netzwerk ausbauen, ein dramaturgisches Diagramm aufstellen, wovon will ich erzählen? Google terrorisieren, was es in der Stadt gibt – die Liste wird nicht kürzer, sondern länger. Doch ich habe Erfolg.
Während ich die Leute interviewe, steigt mein Netzwerk. Floskeln und Sätze wie "Ich kenn" noch den und den, soll ich den mal fragen? Das wäre doch sicher auch interessant für den Film!" oder "Hast du drauf Bock?" und "Ich kann ja mal fragen!" höre ich nun bei jedem Interview.
Doch ich verheddere mich ein wenig im Netzwerk und verliere die Übersicht.
Was war denn die ursprüngliche Aussage meines Films? Dass es Bielefeld wirklich gibt? Das war doch der Aufhänger. Doch interessiert das die Leute in Berlin? Was wollen sie wissen? Wer ist die Zielgruppe?
Nach einem halben Jahr Hin- und Hergeschnippel erfahre ich es dann im Kinosaal: 70 Leute erscheinen zur Matinee in dem angemieteten Saal und bestehen überwiegend aus Bekannten, Freunden, Freundes-Freunden und Leute, die einen kennen, die einen kennen.
Lokalkolorit. Wiedererkennungswert. Freunde der Stadt. Das scheint den Film auszumachen.
Wen kümmert da Berlin.